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Lassen
Sie uns nun die Rolle der südafrikanischen Kirchen im Kampf
gegen Aids betrachten.
1. Die Erwartungen der Regierung an die Kirchen
Die Erwartungen der Regierung an die Kirchen sind
Teil des Programms zur Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen,
das ich zuvor erwähnte.
a) Die
Regierung erwartet von den Kirchen und ihren Mitgliedern Gebete
für Aids-Infizierte, Erkrankte und Verstorbene.
b) Die Regierung ermutigt die Kirchen zur Veranstaltung von
Lichterketten und Andachten, z.B. im Zusammenhang mit dem Welt-Aids-Tag.
c) Die Regierung erwarten von den Kirchen Debatten zum Themenbereich
Moral und Verantwortung.
d) Gemeindemitglieder sollen zum Themenbereich HIV/Aids ausgebildet
und geschult werden.
e) In den Ausbildungsplan für Pastorinnen und Pastoren
soll das Thema integriert werden.
f) Von den Pastoren und Pastorinnen werden öffentliche,
eindeutige Stellungnahmen gegen die Diskriminierung von HIV-Infizierten
und Aids-Erkrankten erwartet.
g) Die Kirchen sollen sich engagieren für die Fürsorge,
Seelsorge, Unterstützung und Beratung von Erkrankten und ihren
Familien.
h) Die Kirchen und ihre leitenden Mitarbeiter sollen ermuntert
und befähigt werden, die Aids-Problematik offen an- und auszusprechen.
i) Die Gemeindemitglieder sollen zu Treue in der Beziehung,
zu glaubwürdigem Verhalten und zur Benutzung von Kondomen aufgerufen
werden.
j) Weiterhin sollen die Kirchen Programme für die häusliche
Pflege entwickeln und einrichten.
k) Es sollen Spenden gesammelt werden für diejenigen,
denen geholfen werden muss. Meine persönliche Ergänzung
zu dieser Liste an Erwartungen ist der Aufruf vor allem an die Pastoren
und Pastorinnen, so zu handeln und zu leben, wie Sie es predigen.
2. Die Aktivitäten der Ev.-luth. Kirche
a) Durch
die finanzielle Unterstützung der Norwegischen Kirche konnte
ein Seminar für die Pastoren und Pastorinnen der Süd-Ost-Diözese
veranstaltet werden, um die Bewusstseinsbildung für die Aids-Problematik
zu entwickeln und die Pastorinnen und Pastoren zu befähigen,
Infizierte und Erkrankte in ihren Gemeinden zu beraten.
b) Im Ev.-luth. Kirchenkreis Durban wurde ein Kirchenkreis-Aids-Ausschuss
eingerichtet, der mit den Gliederungen des Kirchenkreises, also mit
der Frauenarbeit, der Männerarbeit, der Jugendarbeit und der
Kindergottesdienstarbeit zusammenwirken soll. Wann immer sich diese
Gruppen treffen, soll Aids ein Thema der Tagesordnung sein.
c) Die Pastorinnen und Pastoren des Kirchenkreises Durban haben
sich verpflichtet, jährlich 100 Rand (ca. 35 DM) von ihren sehr
geringen Gehältern für die Aids-Arbeit zu spenden.
d) Der Kirchenkreis Durban an der A-B-C-Kampagne der Regierung.
Dabei steht A für Enthaltsamkeit, B für Treue und Glaubwürdigkeit
und C für den Gebrauch von Kondomen. Die Haltung der Süd-Ost-Diözese
und damit auch der Partnerschaftskirchenkreise des Kirchenkreises
Melle ist, nicht über die Punkte B und C zu sprechen. Sie sagen,
dass junge, unverheiratete Christen keinerlei vorehelichen Geschlechtsverkehr
haben sollten. Und deshalb seien die Punkte B und C auch kein Thema
für die Kirche. Ich bezeichne das als eine unverantwortliche
Haltung. Wie Sie vielleicht wissen, hatten wir in den Achtigerjahren
ein großes Problem mit Teenager-Schwangerschaften. Das sollte
für die Pastoren ausreichen zu erkennen, dass Jugendliche sexuell
aktiv sind. Als Kind dieser Kirche fordere ich deshalb die Pastoren
auf, ehrlich und glaubwürdig zu sein und deshalb zum Gebrauch
von Kondomen aufzurufen. Deshalb sollte sich die Kirche an allen Punkten
der A-B-C-Kampagne beteiligen.
e) Der nächste Punkt hat mich bei den Vorbereitungen zu
diesem Referat sehr ins Schwitzen gebracht. Es geht um die sogenannten
"Jungfräulichkeitstests". Das ist eine alte Tradition, die vor
langer Zeit praktiziert wurde. Der Test beinhaltet eine physische
Untersuchung der Mädchen mit dem Ziel festzustellen, ob sie noch
Jungfrauen sind. Es ist überhaupt fraglich, ob diese Tests fachlich
korrekt durchgeführt werden können. Die Kirchen begrüßen
und unterstützen diese Tests. Aufgrund der Aids-Problematik erleben
diese Tests eine Wiederbelebung in Südafrika. Die Leute sagen:
"Lasst uns tun, was wir schon früher getan haben. Wir halten
die Mädchen durch die Untersuchungen vom frühzeitigen Geschlechtsverkehr
ab. Wenn wir sie regelmäßig untersuchen, werden sie Angst
davor haben, mit einem Jungen oder einem Mann zu schlafen." Dieses
Verhalten wird mit den Untersuchungen erzwungen. Ich habe große
Probleme mit diesen Tests, weil sie wieder die Frauen diskriminieren.
Jungen werden nämlich nicht getestet oder befragt. Die Tests
verstärken das Problem des niedrigen sozialen Status der Frauen.
Und dann gibt es noch diesen verrückten und unaussprechbaren
Glauben, dass, wenn ein infizierter Mann mit einer Jungfrau schläft,
seine Krankheit geheilt werde. Man muss dazu wissen, dass aufgrund
des Gemeinschaftssinns der schwarzen Bevölkerung die Ergebnisse
der Test öffentlich sind. Männer, die diesem Irrglauben
anhängen, vergewaltigen also jungfräuliche Mädchen.
Das einzig Positive an diesen Test ist nach meiner Meinung, dass sie
allen Mädchen angeboten werden, also nicht nur denen, von denen
erwartet wird, dass sie Jungfrauen sind. Sie werden auch denjenigen
Mädchen angeboten, die sagen: "Ich bin keine Jungfrau mehr, aber
ich will ab jetzt enthaltsam leben." Ein weiterer positiver Effekt
der Tests ist, dass sie eine Reihe von Kindesmisshandlungen aufgedeckt
haben. Viele der getesteten Mädchen waren keine Jungfrauen mehr
und gaben beim anschließenden Gespräch an, von Nachbarn
oder Verwandten missbraucht worden zu sein. So sind einige Fälle
aufgedeckt worden und die Männer konnten verhaftet werden. Trotzdem
muss ich sagen, dass die Tests kein Weg sind, dem Kindermissbrauch
vorzubeugen. Mit der Einführung des Sexualkundeunterrichts an
den Schulen lernen die Kinder jetzt, wie sie sich gegen sexuelle Übergriffe
wehren können. Und ich fordere die südafrikanischen Kirchen
auf, sich von den Jungfräulichkeitstest zu distanzieren und unüberhörbar
für den Stop der Test einzutreten. Ich würde es gerne sehen,
wenn die südafrikanischen Kirchen frei und offen über Aids
und Sex reden würden.
Weil: Über Sex zu reden verursacht weder HIV/Aids,
vorzeitigen Geschlechtsverkehr oder Teenager-Schwangerschaften.
Weltweite Untersuchungen zeigen, dass eine frühzeitige und
offene Diskussion einen überaus positiven Einfluss auf das
Sexualverhalten von Jugendlichen hat.
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